Biodiversität macht glücklich

    In der Bözenegg oberhalb Schinznach-Dorf entsteht ein neues Refugium für viele seltene Tier- und Pflanzenarten.

    (Bild: zVg) Eine verwunschene ruhige Ecke in Sichtweite der Autobahn.

    Die sonnenverwöhnte Landschaftskammer der Bözenegg liegt oberhalb des Südportals des Bözbergtunnels und erstreckt sich über eine Fläche von rund 14 Fussballfeldern. Die für den Jurasüdfuss einst typische Landschaftsprägung ist hier noch gut ablesbar. Hochstammobstbäume stehen locker verteilt inmitten einer gegen den Waldrand hin immer steiler werdenden artenreichen Fromentalwiese. Alte zerfallene Trockenmauern bieten Mauereidechsen wertvolle Lebensräume und im Halbschatten eines grossen Nussbaumes wächst die seltene Spitzorchis.

    Mehr Leben
    2017 ging einer der Grundeigentümer der Bözenegg auf Pro Natura Aargau zu. Das Anliegen: Mehr Biodiversität auf seinen Landwirtschafts- und Waldflächen – mehr von all dem Leben, das die Bözenegg so besonders macht. Die creaNatira GmbH, eine Tochterfirma von Pro Natura Aargau, nahm sich dem Wunsch an und lancierte ein entsprechendes Artenförderungsprojekt.

    Nachdem eine grobe Übersicht über die bestehenden Naturwerte bestanden hatte, wurde mit der Erhebung des Ausgangszustandes begonnen. Mit dem Fokus auf seltene Schlangen und Eidechsen untersuchte Noah Meier, Reptilienspezialist bei creaNatira, als erstes die bestehenden Trockensteinmauern. Diese alten versteckreichen Steinmauern dienen als Ersatzlebensraum für wärmeliebende Reptilienarten. Bereits nach wenigen Wochen konnten sehr erfreuliche Funde gemacht werden! So wurden in einer erst vor 20 Jahren durch creaNatira erstellten Trockenmauer zwei sehr seltene Schlingnattern nachgewiesen und der Eigentümer konnte in seiner Gartenmauer die stark gefährdete Geburtshelferkröte – im Volksmund Glögglifrosch – akustisch aufzeichnen. Zwei Erfolge, welche das Potential von Fördermassnahmen unterstrichen.

    Von Glögglifröschen und Grauen Langohren
    Diese Funde wurden massgebend für die weiteren Planungsarbeiten. Ebenfalls zentral für mögliche Aufwertungsmassnahmen war die Nähe der Bözenegg zum Amphibienlaichgebiet Eriwis. Diese nur 500 Meter entfernte ehemalige Lehmgrube ist heute ein BirdlifeNaturschutzgebiet und geniesst als wichtiger Lebensraum der Geburtshelferkröte und der ebenfalls stark gefährdeten Gelbbauchunke nationalen Schutz und Vernetzungspriorität.

    Die Gelbbauchunke ist eine Charakterart kleiner, offener Gewässer, die sich in der Sonne rasch erwärmen.

    Als weitere zentrale Tierfamilie kamen die Fledermäuse ins Spiel. Die in Thalheim noch vorkommenden Grauen Langohren sind in der Schweiz vom Aussterben bedroht und dringend auf struktur- und insektenreiche Lebensräume angewiesen. Sie lieben blumenreiche Wiesen mit Hochstammobstbäumen, buchtige Waldränder und insektenreiche Wasserstellen. Andres Beck, Fledermaus-Schutzbeauftragter des Kantons Aargau, gibt der Bözenegg gute Chancen, als Lebensraum dieser sehr seltenen Fledermausart zu dienen. Zusammenfassend wurde die Förderung der Gelbbauchunken, des Glögglifrosches, der Schlingnatter und der Grauen Langohren als erste Ziele formuliert.

    In Zusammenarbeit mit der Abteilung Landschaft und Gewässer des Kantons Aargau und des Jurapark Aargau nahm das Aufwertungsprojekt langsam Form an. Im Frühling 2020 reichten Pro Natura Aargau und der Jurapark Aargau gemeinsam ein Auflageprojekt für 14 unterschiedliche Laichgewässer für Amphibien ein. Zudem sollten die Trockenmauern etappenweise saniert werden können und mehrere Steinlinsen und Heckengruppen in Zukunft die Vernetzung der seltenen Kulturlandarten noch verbessern.

    Neues Naturschutzgebiet als Amphibienparadies
    Der Startschuss der Umsetzung erfolgte im Corona-Sommer 2020. Mit schwerem Gerät, aber auch mit viel Handarbeit wurde mit dem Bau von acht grossen Steinlinsen und der Pflanzung von rund 200 Metern dornen- und beerenreichen Heckenstreifen begonnen. Die Zivildienstleistenden von Pro Natura Aargau wurden dabei durch den Forstbetrieb Homberg-Schenkenberg

    Im Winter 2020 begann der Aushub der ersten fünf grösseren Amphibientümpel. Die dafür nötige Fläche wurde zuvor einer Erbengemeinschaft abgekauft und ist heute ein Naturschutzgebiet von Pro Natura Aargau. Die erste Etappe der Tümpelgestaltung konnte noch vor Weihnachten abgeschlossen wer- den. Die zweite Etappe dauerte bis in den Frühling 2021.

    Mit den starken Schnee- und Regenfällen in der zweiten Winter- hälfte füllten sich die Tümpel viel schneller als erwartet und wurden zur grossen Freude des Projektleiters bereits in ihrem ersten Frühling vom Grasfrosch und der Gelbbauchunke angenommen. Erst vor wenigen Wochen entstiegen den Tümpeln tausende kleine Grasfrösche und wenig später auch dutzende kleine Gelbbauchunken.

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    Nächtliche Überraschungen
    Doch damit nicht genug. Die Erfolgskontrolle zur Annahme der Tümpel als Trinkstelle für seltene Fledermäuse war zur Freude aller Beteiligten begleitet von den hellen Rufen der Geburtshelferkröte – auch diese heimliche Art hat das neue Schutzgebiet bereits gefunden. Es gilt abzuwarten, ob erste Larven in den Tümpeln entdeckt werden können.

    Breite Unterstützung für Artenschutz
    Um solch umfassende Aufwertungsmassnahmen zu ermöglichen, brauchen Pro Natura Aargau und der Jurapark Aargau finanzielle Unterstützung. Das breit abgestützte Aufwertungsprojekt kostete rund 200’000 Franken und wurde finanziert vom Naturemade Star Fonds von ewz und Alpiq, der Stiftung Umweltengagement, der Stierli Stiftung, einer Sammelaktion der Jugendgruppe Jugend United Siggenthal sowie vom Kanton Aargau.

    Mehr zu den Förderarten unter:
    www.karch.ch
    www.fledermausschutz.ch

    Philipp Schuppli,
    Umweltingenieur und Projektleiter bei der creaNatira Gmbh

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