Die Abteilung Landschaft und Gewässer zeichnet erstmals im Frühjahr 2023 herausragende innovative und wirksame Projekte zur Förderung der Biodiversität und naturnahen Entwicklung der Landschaft mit dem Aargauer Naturpreis aus. Simon Egger, Leiter der Sektion Natur und Landschaft in der Abteilung Landschaft und Gewässer des Departements Bau, Verkehr und Umwelt, über die Idee der ersten Vernetzungsplattform Natur 2030, die erfolgreich angelaufen ist. Er erklärt zudem wie in den Aargauer Gemeinden wieder mehr Artenvielfalt gedeihen kann.
Wie steht es um die Biodiversität im Kanton Aargau?
Simon Egger: Der Zustand der Artenvielfalt und Lebensräume ist kritisch. Die Fläche hochwertiger Naturschutzgebiete und Biodiversitätsförderflächen ist nach wie vor viel zu gering, um eine reichhaltige Biodiversität langfristig zu erhalten. Die Schutzgebiete als Hotspots der Artenvielfalt sind in unserem intensiv genutzten Kanton zu wenig gut miteinander vernetzt. Die bisher umgesetzten Naturschutzmassnahmen verzeichnen zwar durchaus gewisse Erfolge. Doch gerade viele gefährdete, auf bestimmte Lebensräume spezialisierte Arten sind weiterhin stark unter Druck.
Was sind sogenannte Leuchtturmprojekte für den Erhalt der Biodiversität im Kanton Aargau?
Das sind Projekte, die wirksam sind für die Biodiversität und eine besonders grosse Ausstrahlung haben. Projekte, die Menschen animieren, selbst aktiv zu werden für die Förderung der Artenvielfalt. Ein solches Projekt ist beispielsweise «Natur findet Stadt», das letztes Jahr mit dem renommierten Binding-Preis für Biodiversität ausgezeichnet wurde. Bereits über 20 Gemeinden und mehr als 250 Private haben sich am Projekt beteiligt und Flächen für die Biodiversität aufgewertet. Und das Projekt wächst stetig.
Was braucht es zum langfristigen Erhalt der Biodiversität?
Es braucht genügend grosse, ökologisch hochwertige, natürliche und naturnahe Flächen von ganz unterschiedlichem Lebensraumcharakter. Nur in grossen zusammenhängenden Gebieten können sich starke, überlebensfähige Populationen bilden. Artenvielfalt braucht eine möglichst breite Vielfalt unterschiedlicher Lebensräume – von Trockenwiesen über naturnahe Wälder bis zu Mooren, Feuchtwiesen, naturnahen Ufern oder Fliessgewässern. Ganz wichtig ist auch, dass sich die Arten ausbreiten und mit anderen Populationen genetisch austauschen können. Dafür braucht es Ausbreitungskorridore und kleinere hochwertige Flächen als eine Art Inseln oder Trittsteine zwischen den Schutzgebieten. Und natürlich sind eine angepasste Pflege und der Schutz vor Beeinträchtigungen, beispielsweise durch übermässige Nährstoffeinträge oder Lichtimmissionen, wichtig.
Wie steht der Kanton Aargau bezüglich «ökologischer Infrastruktur» und Biodiversität im Vergleich zu anderen Kantonen da?
Der Kanton Aargau hat das Thema Ökologische Infrastruktur, das 2012 mit der Strategie Biodiversität Schweiz lanciert wurde, frühzeitig aufgegriffen. Gemäss Entwicklungsleitbild 2021–2030 des Regierungsrats will der Kanton den Aufbau einer funktionsfähigen ökologischen Infrastruktur – ökologisch wertvolle Lebensräume und deren Vernetzung – zur langfristigen Sicherung der Biodiversität und ihrer Ökosystemleistungen vorantreiben. Während andere Kantone mit der Erarbeitung der erforderlichen Grundlagen beginnen, liegt im Kanton Aargau die entsprechende Fachgrundlage bereits vor. Sie zeigt den Bedarf für zusätzliche (neue) sowie qualitativ aufzuwertende (bereits ausgeschiedene) Flächen zugunsten der Biodiversität auf, differenziert nach Lebensraumtypen für verschiedene Artengruppen und nach Region. Parallel dazu wurden Schwerpunkträume für entsprechende Fördermassnahmen ausgeschieden. Nun gilt es, diese regional zu konkretisieren und Lücken in der ökologischen Infrastruktur mit neu geschaffenen und aufgewerteten Flächen für die Artenvielfalt zu schliessen.
Die Abteilung Landschaft und Gewässer zeichnet erstmals im Frühjahr 2023 herausragende, innovative und wirksame Projekte zur Förderung der Biodiversität und naturnahen Entwicklung der Landschaft mit dem Aargauer Naturpreis aus. Wie ist diese Idee entstanden?
Die Idee war schon länger in unseren Köpfen. Ausgangspunkt war die Überzeugung, dass die Artenvielfalt und der Zustand unserer Biodiversität uns alle betreffen, und dass sehr viele verschiedene Akteure zu ihrer Förderung beitragen können. Die Biodiversität ist unsere Lebensgrundlage.
Um diese zu erhalten, braucht es ein breites gesellschaftliches Engagement. Deshalb möchten wir Akteure aus der Privatwirtschaft, von öffentlichen und privaten Körperschaften wie auch gemeinnützige Organisationen und Private animieren, gemeinsam wirksame Lösungen zugunsten der Biodiversität zu entwickeln und umzusetzen.
Was ist der Aargauer Naturpreis konkret?
Der Aargauer Naturpreis zeichnet besonders wirksame Projekte für die Aargauer Natur mit einem Preisgeld aus und verschafft ihnen durch eine aktive Kommunikation seitens Kantons mehr Sichtbarkeit. Die Preisträger werden im Rahmen einer feierlichen Preisübergabe gewürdigt. Wir möchten so das Engagement von Privaten, Organisationen oder Gemeinden für die Biodiversität honorieren und hoffen natürlich, dass sich mehr Menschen begeistern lassen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten etwas für die Förderung der Biodiversität zu tun.
Wer kann sich bewerben?
Bewerben können sich fast alle, die eine geeignete Fläche zur Verfügung haben und ein gutes Projekt umsetzen. Von naturinteressierten Privatpersonen über Immobilienverwaltungen, Unternehmen mit Firmenarealen über öffentliche Einrichtungen wie Schulen, Kirchen, Spitäler und Altersheime bis zu Gemeinden, Quartiervereinen und privaten Organisationen.
Was sind die Förderkriterien, die ein Projekt erfüllen muss?
Es gibt die drei Förderkategorien: lokal, kommunal und regional. Diese müssen je unterschiedliche Anforderungen bezüglich aufgewerteter Fläche erfüllen. Preisträgerprojekte müssen neue Flächen für die Biodiversität schaffen oder bestehende aufwerten, seltenen und gefährdeten Arten zugutekommen und Landschaft und Freiräume naturnah weiterentwickeln. Sie sollen im Verhältnis zu den eingesetzten Mitteln besonders wirksam sein, erschliessen im Idealfall innovative, neue Lösungswege und inspirieren andere zur Nachahmung. Jahresschwerpunkt 2022 – Preisverleihung im März 2023 – bilden Projekte zur Biodiversitätsförderung im Siedlungsraum.
Was darf die Preisträgerschaft erwarten?
Das Preisgeld beträgt 5’000 Franken für lokale Projekte, 10’000 Franken für kommunale und 20’000 Franken für regionale Projekte. Der Kanton gibt die Siegerprojekte via Medien bekannt und porträtiert sie in der Kommunikation der Abteilung Landschaft und Gewässer prominent.
Wie setzt sich die Jury zusammen?
Die Jury ist noch im Aufbau. Sie wird fachlich breit abgestützt sein, soll aber auch ein breites Spektrum an Akteuren, Anspruchsgruppen und Sichtweisen abbilden.
Anfangs April wurde die Vernetzungsplattform 2030 erstmals erfolgreich durchgeführt. Was soll man sich darunter vorstellen?
Die Vernetzungsplattform ist eine Projektwerkstatt, in der Ideen ausgetauscht, neue Lösungsansätze entwickelt und konkrete Umsetzungsprojekte vorbereitet werden. Was nötig ist, um im Aargau eine Ökologische Infrastruktur zu realisieren und die Biodiversität langfristig zu erhalten, können weder Kanton noch Gemeinden alleine leisten. Wir suchen deshalb aktiv den Dialog mit verschiedenen Akteuren und bieten dafür eine Plattform. Wir wollen die verschiedenen Perspektiven verstehen und gemeinsam mit unseren Umsetzungspartnern überlegen, was ihre Branche oder was sie persönlich für die Artenvielfalt tun könnten und welche Schritte oder Unterstützung es dafür braucht.
Wie kann in den Aargauer Gemeinden wieder mehr Artenvielfalt gedeihen?
Entscheidend sind Menschen, die realisieren, wie wichtig die Erhaltung der Artenvielfalt für unsere Gesellschaft ist, und die sich in ihrem Wirkungskreis für die Biodiversität einsetzen und damit andere begeistern. Ob als Lehrer, Bauverwalterin, Immobilienbewirtschaftende, Forstwart, Landschaftsgärtnerin, Gartenbesitzerin, Strassenmeister oder Landwirt: Fast jede und jeder hat Möglichkeiten, einen kleineren oder grösseren Beitrag zu leisten, damit ein immer dichteres Netzwerk an kleineren und grösseren Flächen mit hoher ökologischer Qualität entsteht – eine Ökologische Infrastruktur eben.
Wie wird die Bevölkerung und Privatwirtschaft für die Biodiversität in unserem Kanton sensibilisiert und wie kann sie da eingebunden werden?
Eine wichtige Rolle hierbei spielen Institutionen wie das Naturama Aargau, die Stiftung Reusstal, der Jurapark Aargau und die Naturschutzorganisationen mit Naturschutzzentren, Exkursionsangeboten, Kursen und ihren Projekten, mit Arbeitseinsätzen und Mitmachgelegenheiten. Für die Privatwirtschaft können Zertifikate wie beispielweise das Label «Natur & Wirtschaft» interessant sein, um ihr Engagement sichtbarer zu machen.
Interview: Corinne Remund
Weitere Infos:
www.ag.ch/naturpreis