«Der Klimawandel ist eine grosse, globale Herausforderung. Alleingänge führen zu weniger Nutzen und zu höheren Kosten», sagt Ständerat Thierry Burkart. Der Aargauer Standesvertreter und designierte FDP-Präsident trifft den Minister gegen Klimawandel der argentinischen Provinz Misiones in Baden.
«Länderübergreifende Zusammenarbeit, bei der die spezifischen Stärken jeder Region analysiert und eingesetzt werden, führen effektiv und effizient zu Lösungen in der CO2-Problematik», ist Burkart überzeugt. «Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre war seit Millionen Jahren nicht mehr so hoch.» Der Fluss Paraná ist zum Beispiel auf den tiefsten Stand seit 1944 gesunken. Der Paraná, die Lebensader Argentiniens, hat normalerweise beim Verlassen der Provinz Misiones den vierfachen Abfluss des Rheins bei Rheinfelden. Dass der «Ministro de Cambio Climatico» in Europa für Unterstützung bei der Erhaltung der CO2-Senke Atlantikurwald wirbt, kommt nicht von ungefähr. Denn die Bekämpfung des Klimawandels muss für die Provinz und ihre Bewohner auch wirtschaftlich aufgehen.
Waldgesetz-Pionier Schweiz
Der junge Bundesstaat Schweiz musste früh den Zusammenhang zwischen Walderhaltung und Hochwasser erkennen. 1851 und 1852 fielen fast alle Brücken am Rhein zwei Hochwassern zum Opfer. Die Schutzfunktion der Bergwälder und die Hochwasser zwangen die Schweiz zu einem der ersten Waldgesetze weltweit. Was allerdings gerne vergessen geht: Die Umsetzung war nur dank den fossilen Energieträgern möglich. Kohle und später Erdöl ersetzten den nachwachsenden Energieträger Holz. Nur dank der wirtschaftlichen Machbarkeit war das «Forstpolizeigesetz von 1876» mehrheitsfähig und konnte umgesetzt werden. Es braucht bei allen Massnahmen die ökologische Nachhaltigkeit – aber eben auch die die ökonomische und soziale. Das gilt wohl für jedes Gesetz auf der ganzen Welt. Die grosse Herausforderung bei der Umsetzung der an sich ausgezeichneten Rechtsgrundlagen in Misiones ist der zu grosse wirtschaftliche Druck auf den Wald.
Kohlenstoff aus CO2 in den Wäldern speichern
In den Wäldern der Tropen und Subtropen sind grosse Mengen Kohlenstoff gebunden. Werden sie zerstört, gelangt dieser Kohlenstoff als CO2 in die Atmosphäre. In Regeneration befindliche und nachhaltig bewirtschaftete Wälder binden in ihrer Biomasse sehr viel Kohlenstoff (C), der aus dem CO2 der Luft stammt. Die Zerstörung dieser Wälder hat sich in den letzten Jahrzehnten noch beschleunigt. Brasilien steht an der Spitze.
Das «Grosse Haus»
Für die Mbyá, die Ureinwohner von Misiones, ist der Wald die Welt, das «Grosse Haus», in dem wir alle leben. Das globale Zusammenspiel der regionalen Stärken dient der Erhaltung des «Grossen Hauses». Thierry Burkart gefällt diese Sicht- weise der indigenen Bevölkerung. Die Herausforderung der Weltgemeinschaft – zu der wir alle gehören – nimmt er an.
Regenwald langfristig schützen
Artikel 75 der argentinischen Verfassung anerkennt die ethnische und kulturelle Präexistenz der indigenen Völker, gewährleistet die Achtung ihrer Identität und das Recht auf zweisprachige und interkulturelle Erziehung. Die Verfassung anerkennt den rechtlichen Status ihrer Gemeinschaften und den gemeinschaftlichen Besitz und das Eigentum an dem Land, das sie traditionell bewohnen. Sie gewährleistet die Bereitstellung anderer Flächen, die für ihre Entwicklung geeignet und ausreichend sind. Das Eigentum ist nicht veräussernoch übertragbar und darf nicht belastet oder gepfändet werden. Diese Voraussetzungen ermöglichen es – im Unterschied zur Rechtslage in den Nachbarländern – in der agentinischen Provinz Misiones Urwald langfristig zu sichern.
Yes, we can!
Von der Schweiz aus werden durch die Badener NGO «Sagittaria» auf privater Basis seit 15 Jahren kleinere Flächen (10 bis 300 ha) gekauft und den über eine juristische Person verfügenden Gemeinschaften zurückgegeben. Bis zum Ausbruch der Pandemie brachte die Biodiversität der Provinz einen wirtschaftlichen Vorteil durch die Nutzung der touristischen Schönheit der Natur im Nationalpark Iguazú. Ansonsten ist die Erhaltung des Atlantikurwaldes als Leistung für die Menschheit nicht in Wert gesetzt.
Nicht die Krone der Schöpfung
Die Indigenen verteidigen ihr Territorium und die Lebewesen darin aus weltanschaulichen Gründen. Sie sehen sich nicht als Krone der Schöpfung, sondern als gleichberechtigte Organismen unter vielen. Weil sie permanent im Wald leben, werden Verletzungen des Wal- des sofort erkannt und gemeldet, während in staatlichen Schutzgebieten oft das Geld für die Überwachung fehlt. Für private weisse Eigentümer besteht ein massiver Nutzungsdruck, da privates Grundeigentum im Gegensatz zum gemeinschaftlichen der Mbyá-Gemeinschaften versteuert werden muss. Jede Förderung des Eigentums der Mbyá am Wald schützt das bedrohte Volk der Mbyá Gua- raní, den Wald und die Biodiversität und bindet Kohlenstoff.
Die Leistung der Provinz Misiones und ihrer Bevölkerung muss entgolten werden, sonst hat der Urwald keine Chance. Doch ist die Abschätzung für die Quantifizierung der CO2-Bindungsleistung eines ganzen Ökosystems mit hunderten unterschiedlich schnell wachsenden Bäumen, die ein unterschiedliches Alter erreichen können, viel aufwändiger als etwa die einer Holzplantage, bei der nur eine Baumart berücksichtigt werden muss. Auch für private Waldeigner wäre die Anmeldung als CO2-Senke attraktiv, doch fehlen auch hier die Untersuchungen zur Quantifizierung.
Nutzen für alle
Wichtiger Teil der Umsetzung muss ein Vorteil für das Staatswesen und den Steuerzahler sein. Im Moment entfallen bei der Übertragung des Eigentums auf die Mbyá Steuereinnahmen. Ca. 3’000 Personen in Misiones sind schweizstämmig. Viele tragen zur Wirtschaft der Provinz bei. Einige sind jedoch auch verarmt und versuchen in die Schweiz zu kommen. Viele ihrer Vorfahren haben nicht unwesentlich zur Zerstörung des Waldes beigetragen. Die Umsetzung der Klimaziele über den Schutz der Indigenen in der argentinischen Verfassung und des Völkerrechts ist nur nachhaltig, wenn alle Beteiligten für ihre Leistungen im Dienst der Menschheit entschädigt werden. Wird die Umsetzung attraktiver, fördert sie die Vorbildwirkung auf die benachbarten Staaten.
Johannes Jenny
VERANSTALTUNGSTIPP
Patricio Lombardi: «Klimawandel und Biodiversität am Beispiel der argentinischen Provinz Misiones». Ein Anlass mit Thierry Burkart und dem ersten Minister gegen den Klimawandel Südamerikas.
Montag, 6. September 2021, 19 Uhr,
«Druckerei» Stadtturmstrasse 19, Baden.
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